Wer von euch kennt den Ausdruck «Schildbürgerstreich»? Die offizielle Erklärung dafür lautet «dumme Handlung, deren Absicht nicht funktioniert oder deren Zweck komplett verfehlt wird». Und wisst ihr auch, woher dieser Ausdruck kommt? Von den Bürgern aus Schilda, die man Schildbürger nannte, die einst fleissig, tüchtig, beherzt und aufgeweckt waren und später durch ihre sprichwörtliche Dummheit berühmt wurden. Wie es dazu kam, darüber schrieb Erich Kästner. Wir wollen uns an dieser Stelle nur einem Schildbürgerstreich zuwenden, der etwas gemeinsam hat mit dem Johanniskraut.
Als erste «Amtshandlung» beschlossen die Schildbürger, ein neues dreieckiges Rathaus unter der Leitung des Schildbürgers zu bauen, der schon dem schiefen Turm in Pisa zu Weltruhm verhalf.
Tatkräftig machten sich die Bürger von Schilda an die Arbeit und vollendeten das Werk in kürzester Zeit. Zur Einweihung erschienen sämtliche Einwohner in ihren Sonntagskleidern und begaben sich durch das grosse Tor in das weiss gekalkte, dreieckige Gebäude. Doch sie waren noch nicht an der Treppe, da purzelten sie auch schon durcheinander, stolperten, stiessen sich die Köpfe zusammen und schimpften wie die Rohrspatzen. Sie brauchten einen Moment, bis sie begriffen, woran das lag. Es fehlte das Licht im Rathaus, weil sie die Fenster vergessen hatten. Da sie ursprünglich schlaue Leute waren, hatten sie bald die Lösung. Das Licht ist ein Element wie das Wasser. Und da man das Wasser in Eimern ins Haus trägt, wollten sie dies mit dem Licht genauso machen.
Dass dies ein schier unmögliches Unterfangen ist, muss ich euch wohl nicht erklären, sonst wäre das ja kein Schildbürgerstreich.
Dafür erzähle ich euch, wie wir uns die Sonne aus dem Johanniskraut ins Glas holen oder vielmehr Licht in die dunklere Jahreszeit.
Von den rund 400 Johanniskrautarten sind 60 davon heimisch in Europa, 11 Arten allein in Deutschland. Wir befassen uns an dieser Stelle mit dem Echten Johanniskraut, dem Hypericum perforatum, das Tüpfel - Johanniskraut. Es wächst auf sonnendurchfluteten Wiesen und Waldlichtungen. Der Stängel ist zwei kantig und die Blätter perforiert, da auch der Teufel seine Spuren auf dem Tausendlochkraut hinterlassen hat. Denn als er merkte, dass diese Pflanze viel stärker war als er zerstach er verärgert die Blätter mit einer Nadel. Natürlich nicht! Diese «Löcher» sind winzige im Blattgewebe eingelagerte Drüsen mit Harz und ätherischen Ölen, die lichtdurchlässig sind. Die dunklen Punkte auf dem Blatt enthalten den roten Farbstoff Hypericin. Manche Leute behaupten, es handle sich um Elfenblut, mit dem man Wunder vollbringen könne. Tatsache ist, dass Hypericin mittlerweile wissenschaftlich nachgewiesen nahezu Wunder bewirken kann. Dazu mehr später.
Das Kraut wird 50-90 Zentimeter hoch, im oberen Teil ein reich verzweigter Stängel, gegenständig angeordnet. Die Blätter sind 1,5-3cm gross, eiförmig, ganzrandig, unbehaart und besetzt mit kleinen hellen und dunklen Punkten, den Öldrüsen. Das Blutkraut blüht von Juni bis September und wird am besten um Johannis (21. Juni), dem Sonnwendetag, gepflückt. Dazu schneidet man kurz vor der Mittagszeit bei sonnigem Wetter die oberen 15cm ab, wenn frische und verblühte Blüten, Blätter und Kapselfrüchte daran sind. Zu diesem Zeitpunkt ist der Hypericin und Hyperforin Gehalt am grössten, sprich das Kraut hat die grösste Heilkraft.
Bei Reife springt die Kapselfrucht auf. Sie enthält dunkelbraune, zylindrisch geformte Samen.
Um Johanni ist es Zeit das Johanniskraut Öl anzusetzen. Das Kraut wird traditionellerweise in Olivenöl als Mazerat ausgezogen, um das fettlösliche Hyperforin aus der Pflanze zu lösen.
Ich verrate euch an dieser Stelle mein Rezept. Ihr findet bestimmt unzählige Varianten.
Mein Johanniskraut gewinne ich für gewöhnlich auf dem Passwang im Baselland. Ein Ritual, das ich mit einer lieben Freundin seit Jahren pflege. Dieses Jahr hat das Wetter leider nicht mitgespielt.
Ansetzen von Rotöl
Ich lasse das Kraut über Nacht antrocknen, um nicht zu viel Feuchtigkeit im Öl zu haben, was die Schimmelgefahr erhöht. Ich gebe bis gut in die Hälfte des Glases Pflanzenmaterial und fülle mit Olivenöl auf, um das Öl für Heilzwecke, wie Narbenpflege zu verwenden. Als Massageöl verwende ich Mandelöl als Grundlage, da dieses eine bessere Gleitfähigkeit hat. Das Pflanzenmaterial muss gut bedeckt sein. Das Glas mit einem Deckel luftdicht verschliessen.
Nun stelle ich die Gläser für rund 6 Wochen auf die Fensterbank. Wichtig ist eine regelmässige Kontrolle, dass das Pflanzengut nicht an der Oberfläche mit Luft in Kontakt kommt. Das Öl verfärbt sich zusehends rot.
Nach dieser Zeit das Öl durch ein feines Sieb abgiessen und in saubere, dunkle Flaschen abfüllen.
Und fertig ist «das Universalmittel mit höchster Wirkkraft, der sich alle beugen müssen» (Paracelsus, Arzt und Naturforscher, Alchemist, 1493-1541)
Dieser beschrieb es als arcanum (lat. Geheimnis). Bei ihm findet man erste Berichte für die innerliche Anwendung bei Depressionen: «…und das soll ietlicher Arzt wissen, das got ein gross arcanum in das kraut gelegt hat, allein von wegen der Geister und dollen fantaseien, die den Menschen in Verzweiflung bringen.»
Das Johanniskraut kann natürlich auch für einen lichtbringenden Tee verwendet werden. Dazu werden die Blüten getrocknet. Meine ehemalige Lehrerin und renommierte Phytotherapeutin Ursel Bühring weist zudem darauf hin, dass die Wirkung von Hyperikum durch Baldrian beschleunigt und durch Passionsblume spürbar verstärkt wird.
Wenden wir uns der Wirkungsweise des Hexenkrautes zu, das mittlerweile wissenschaftlich gut erforscht ist und auch einen festen Platz in der Schulmedizin geniesst.
Inhaltsstoffe, die für die Wirkung verantwortlich sind:
- Hypericin ist für die rote Färbung verantwortlich. Es wirkt antiviral und verbessert die Lichtaufnahme, sozusagen «Lichttherapie von Innen», als stimmungsaufhellendes Element.
- Hyperforin wirkt antidepressiv, entzündungshemmend, antibakteriell
- Flavoniode wirken allgemein entzündungshemmend
- Ätherisches Öl kommen als «beruhigende Prinzip» zur Geltung, dem Hopfen ähnlich
- Gerbstoffe sind wundheilungsfördernd
Nachdem wir das tiefrote Johanniskraut Öl hergestellt haben, möchten wir ja auch noch wissen, wie wir dieses anwenden.
- Bei Schnitt- und Schürfwunden als Wundheil Öl. Das wusste schon meine Urgrossmutter. Bei ihr standen immer einige Gläser mit dem Mazerat auf der Fensterbank.
- Bei stumpfen Verletzungen wie Prellungen, Verstauchungen, Verrenkungen
- Bei Hexenschuss und anderen Nervenschmerzen wie Gürtelrose. Allgemein bei verspannter Muskulatur und Rheumatischen Beschwerden
- In Kombination mit bestimmten ätherischen Ölen zur Narbenbehandlung. Verhilft zu einer schönen Narbe und erleichtert den verletzten Nerven neue «Wege» zu finden.
Für die innerliche Anwendung gibt es mittlerweile gute Fertigpräparate. Es sei jedoch zu bedenken, dass auch die äusserliche Anwendung mit dem Öl durchaus Licht ins Dunkel bringt und unsere Seele über den Winter mit Licht und Wärme versorgt.
Für die gezielte Behandlung sind jedoch Fertigpräparate in Absprache mit einer Fachperson empfehlenswert.
- Nebenwirkungsfreies Antidepressivum bei leichten und mittelschweren Depressionen, «Winter Blues», Ängsten, nervöser Unruhe und Erschöpfung
- NICHT bei endogenen Depressionen einsetzbar
Dazu sind zwei Dinge wissenswert. Johanniskraut verfügt über ähnliche molekulare Wirkungsmechanismen, wie ein synthetisches Antidepressivum, das die Wiederaufnahme von gewissen Nervenbotenstoffen hemmt. Dadurch werden sowohl psychische Symptome wie körperliche Begleiterscheinungen reduziert (chronische Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Magen- oder Herzbeschwerden).
Nur bei standartisierten Präparaten können Wechselwirkungen mit blutgerinnungshemmenden Mitteln und bestimmten Antibiotika auftreten. Bei der äusserlichen Anwendung sind die Moleküle von Hypericin und Hyperforin zu gross um über die Haut in den Körper einzudringen.
Auch die erhöhte Lichtempfindlichkeit ist nur bei der innerlichen Einnahme zu beachten, da diese Fertigpräparate oftmals eine Dosierung zum Beispiel des Hypericins enthalten, wie es in dieser Menge in der Natur gar nicht vorkommt.
Ihr fragt euch bestimmt, wie ich dazu komme mitten im sonnenreichen Sommer über Depressionen und Co. zu schreiben. Ganz einfach: wir müssen uns die Sonne jetzt als Vorrat in die Flasche holen. Wir sind ja keine Schildbürger!
Nur beim Rezept muss ich wohl zu einem Schildbürgerstreich greifen, da ich keines gefunden habe, indem das Arnika der Nerven als Gewürz oder Gemüse verwendet wird.
Cherry Tomaten Chutney
500 g sonnenreife Cherry Tomaten, geviertelt
1 Stück Ingwer je nach Geschmack, frisch gerieben
1 TL helle Senfkörner
1 TL ganze Pfefferkörner (ev Szechuan Pfeffer)
¼ TL Salz
90 g Rohzucker
1 dl dunkler Aceto Balsamico
Alle Zutaten bis und mit Zucker in einer Chromstahlpfanne mischen. Die Hälfte des Essigs beifügen und unter Rühren aufkochen. Den übrigen Essig nach und nach beifügen. Die Hitze reduzieren und unter gelegentlichem Rühren einkochen lassen bis eine dickliche Masse entsteht.
Ideal zu Salbei Müsli im Bierteig, Hackfleisch Bällchen oder Käse.
Nachdem ihr diese Zeilen gelesen habt, könnt ihr zwar immer noch Eimer weise Licht ins Haut tragen, aber hoch konzentriertes Sonnenlicht für eure Seele ins Glas bringen, um gelassen der dunkleren Jahreszeit entgegenzublicken.
Bis dahin wünsche ich euch noch viele Sommertage!
Mit sonnigen Grüssen
Eure Odorata