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Edelkastanie – Das Brot der Armen

Ich bin mitten im Herzen der Stadt Zürich aufgewachsen und erinnere mich lebhaft, als in der kalten Winterzeit an jeder Ecke ein anderes «Marroni Hüsli» stand und der fröhliche «Marroni Maa» am Bellevue seine duftend heissen Marroni anpries: «Heissi Marroni, ganz heiss!». Süsslich, aber auch etwas trocken liebte ich den eigenen Geschmack dieser oft noch ganz heissen Kastanien. Der Sack wärmte die kalten Finger und die heisse Köstlichkeit wärmte mich von Innen.

Irgendwann verschwanden die vielen verschiedenen Marroni Häuschen und wichen den Stadt Zürich genormten grünen Marroni Ständen und der Preis pro 100 Gramm lässt die Frucht im Hals stecken bleiben… 


Die veredelte Kastanie stammt ursprünglich aus den Ländern des Kaukasus und dem gebirgigen Gebiet zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer. Die alten Armenier hatten diese kultiviert und nannten deren Früchte kasutch, das persische Wort für «trockene Frucht».

In der lateinischen Sprache der Römer wurde das armenische Wort zu Castanea und der britische Botaniker Miller dokumentierte die europäische Edelkastanie erstmals unter dem Namen Castanea sativa (sättigend). Diese ist übrigens nicht verwandt mit der für uns ungeniessbaren Rosskastanie (Aesculus hippocastanum).

Die Römer waren auch verantwortlich für die Ausbreitung der Kastanienkultur bis über die Alpen in den Tessin und nach Deutschland. Einmal mehr war es Karl der Grosse (742-814), der den Anbau der Edelkastanie per kaiserlicher Landgüter-Verordnung («Capitulare de villis» um 812 n.Chr.) ausrief. Der Grundriss des Klosters St. Gallens (820) sieht sogar einen Castanarius (Kastanienhain) vor.

Der Kastanienbaum liebt einen warmen Standort, kargen sauren Boden und da er kein Selbstbestäuber ist, braucht es immer mindestens zwei Bäume zur Pollenübertragung. Er erlangt eine Höhe von rund 25-30 Metern Höhe und trägt erst nach 10-15 Jahren seine reifen stacheligen Früchte. Den höchsten Ertrag schreibt man ihm im Alter von rund 100 Jahren zu. Und da er so alt werden kann wie Methusalem, bis zu 500 Jahren oder gar 1000, liefert er uns sehr lange nahrhafte und schmackhafte Früchte.

Die Kastanienkultur im Tessin erlebte vor rund 1000 Jahren ihren Aufschwung. Die Zunahme der mittleren Temperaturen begünstigte den Anbau bis in obere alpine Täler. Die Edelkastanie, ein Buchengewächs, verzeichnet selbst in höheren Lagen bis auf etwa 1000 Meter ü.M. und auf kargen Schollen einen starken Wuchs. An den mageren Steilhängen der Alpen mangelte es an Getreide für das tägliche Brot. Zudem liefern Kastanien zwei bis dreimal mehr Kalorien pro kultivierte Einheit als Getreide. «Ein Baum pro Kopf» lautete die Faustregel in den Tessiner Tälern bevor Mais und Kartoffeln vor 200 Jahren Einzug in der Südschweiz hielten. Dieser Regel erinnerte man sich auch während der zwei Weltkriege als Grundnahrungsmittel knapp waren.

Während vier bis sechs Monaten waren die Ricci, «die Reichen», so nannte man die reife Kastanie, wenn sie vom Baum fällt, das tägliche Brot der armen Bergbevölkerung. 

Wo in anderen Gegenden die Kinder «Heuferien» hatten, bekamen sie hier frei, um in gebückter Haltung die stacheligen Früchte vom Boden aufzulesen. Denn die Früchte sollten nie vom Baum geschlagen werden, da in den letzten Tagen ein wichtiger Reifeprozess stattfindet.

Zur Konservierung werden die Cheschtene dann geschält und in eigens dafür gebauten Dörrhäusern in den Selven (Kastanienwäldern) getrocknet.

Genug der Geschichte und Botanik, wenden wir uns der Wirkungsweise der veredelten Kastanie zu, von der es weit über hundert Sortennamen gibt, neben der essbaren Kastanie, die uns als «heissi Marroni» bekannt ist.

Und wie könnte es anders sein, bei der Recherche bin ich einmal mehr über die Schriften der Äbtissin Hildegard von Bingen gestolpert. Sie empfiehlt Kastanienhonig bei Leber Beschwerden, gekochte Kastanien oder Mehl zur Stärkung des Herzens. Zudem soll Tee aus Kastanienblättern Atembeschwerden lindern und bei Durchfall und Magenproblemen helfen, was durchaus einleuchtet durch die stark basische Wirkung dieser süsslich herben Frucht.

Zudem wurden Forscher der Emory Universitiy of Atlanta aufmerksam auf die Wirkungsweise von Kastanienblättern als alternatives Antibiotikum. Im Mittelmeerraum verwendet die ältere Bevölkerung noch heute einen Teeaufguss bei Hautinfekt und Entzündung. 

So wird derzeit mit einem Extrakt aus den Blättern geforscht und man hat bisher festgestellt, dass der teils aggressive Staphylococcus aureus mit diesem keine Resistenz aufbauen kann, die Kommunikation unter den Bakterien verhindert und die Produktion von Toxinen (Giftstoffen) vermieden werden kann. Ich bin immer wieder fasziniert, was in der Pflanzenwelt so alles möglich ist!

Und warum uns also nicht diese Frucht mit unverkennbarem Geschmack gerade in der kalten Jahreszeit als nahrhaften Begleiter in die Küche holen?!

Denn das «Brot der Armen» bietet uns eine reiche Palette an wertvollen Inhaltsstoffen:

 

  • Vitamine A wirkt antioxidativ und unterstützt die Hautelastizität, Vitamin C stärkt das Immunsystem und erhöht die Eisenaufnahme, Vitamine B1 und B2 stärken das Nervenkostüm und unterstützen den Stoffwechsel, um nur die wichtigsten Wirkungsweisen genannt zu haben
  • Das reich enthaltene Kalium ist sehr wichtig für die Weiterleitung von Nervenimpulsen, somit Herz stärkend
  • Magnesium und Calcium
  • Ein hoher Gehalt an essenziellen Aminosäuren, wichtig als Grundbausteine für das Gewebe von Organen, Muskeln, Haut und Haaren
  • Der Eiweissgehalt der Edelkastanie liegt zwischen demjenigen der Kartoffel und von Getreide
  • Marronen enthalten weniger Fett als Nüsse, davon jedoch ein hoher Gehalt an Linol- und Linolensäuren, wichtige Stoffwechselaktivatoren, zudem Hormon wirksam
  • 40% komplexe Kohlenhydrate, die schnell satt und den Blutzuckerspiegel nur langsam ansteigen lassen, im Gegensatz zu Weissmehlprodukten
  • Sekundäre Pflanzenstoffe wie Flavonoide wirken antioxidativ, zellschützend und die Lignane sind Östrogen wirksam und schlaffördernd

Und das alles verbunden mit einem abwechslungsreichen Küchengenuss! Heute finden wir neben den «Heisse Marroni» Produkte wie Kastanienhonig, Mehl oder Flakes, geschmacklich einzigartige Kastanienspaghetti, Likör, Bier, Eis…

Und daraus können Gerichte gezaubert werden wie eine einfache Kastaniensuppe mit Weisswein und etwas Rahm, ein Kürbis Curry angereichert mit Kastanien, eine Focaccia mit Rosmarin und Sardellen garniert oder ein feucht fröhlicher Kastanien Kuchen aus reinem, ungezuckertem Kastanien Pürée.

Mein Favorit derzeit sind kleine Bliny’s, die ich je nach Lust und Laune füllen kann. Der zubereitete Teig hält sich gut drei Tage gekühlt und legt an Geschmack sogar noch zu.

Zudem verwende ich dazu neben dem Kastanienmehl Buchweizenmehl zur Stärkung unserer Gefässe. Die Krampfadern freut’s gar nicht! 

Kastanien Buchweizen Bliny’s mit Lauch

Für die Bliny’s

(aus Osteuropa stammende kleine Omelette)

 

2 dl           Hafermilch (aufrichtend, stabilisierend)

2-3           Eier von glücklichen Hühnern

1 EL          gutes Olivenöl

70 g          Kastanienmehl (aus luftgetrockneten Kastanien)

70 g          Buchweizenmehl

1 Msp.       Meersalz

½ TL          Backpulver

2 EL          gehackte Gartenkräuter oder Rosmarin Pulver

 

Für den Teig Milch, Eier und Olivenöl verquirlen. Mehle, Salz und Backpulver beifügen und zu einem glatten Teig rühren. Sicher 30 Minuten ruhen lassen. Dann die Kräuter unterrühren.

Für die Füllung

 

1 EL          Olivenöl

500 g       kleine Lauchstangen

1 EL          Currymischung, Schärfe nach Lust

1 dl           Weisswein oder Gemüsebrühe

                Meersalz

                frisch gemahlener Pfeffer

 

Den Lauch in feine Ringe schneiden, in Olivenöl andünsten, mit Curry Pulver würzen. Mit dem Weisswein oder der Brühe Ablöschen und garen lassen bis der Lauch immer noch etwas Biss hat.

 

Dann den Teig nochmals kurz aufrühren und in einer beschichteten Pfanne kleine, runde Fladen entweder in etwas Olivenöl oder Kokosfett ausbacken.

 

Die Bliny’s mit der Füllung servieren und nach Wunsch mit frischen Sprossen garnieren.

 

Die festliche Variante für Füllung

Räucherlachs in feinen Streifen schneiden und mit Limetten Saft beträufeln. Etwas frischen Dill zum Verfeinern. Mit einem Klacks Meerrettich Schaum garniert ein festliches und vollwertiges kleines Abendessen. Die Festtage können stressfrei kommen!

Die Festtags Variante! Schade kann man Bilder nicht riechen...

Ich hoffe Eure Neugier für das «Brot der Armen» geweckt zu haben und wünsche Euch, dass ihr gesund und munter durch den Winter kommt, mit viel Wärme im Bauch und im Herzen.

 

Eure Odorata

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Kommentare: 1
  • #1

    Erika Briggen (Sonntag, 11 Dezember 2022 22:08)

    Cristina super einfach Spitze. Freue mich auf deinen Besuch und die guten
    Omletten. Bis bald.